16. Werkzeuge aus dem Oberen Miozän von Aurillac
      in Frankreich

Abb. 16.17
Max Verworn (1863-1921), Physiologe und Vorgeschichtler, Verfasser einer mustergültigen Monographie über obermiozäne Feuersteinwerkzeuge aus Aurillac.

... Neben Physiologie hat sich Verworn ausgiebig mit Anthropologie befasst und war auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätig. So lernte er im Anschluss an eine Gastvorlesung an der Yale-University im Wintersemester 1911/12 in den USA die Kulturwelten der Ureinwohner von Arizona und Mexiko kennen. Vorher hatte er nach Spuren prähistorischer Menschen in Westeuropa geforscht und viele Fundstücke nach Deutschland gebracht.

In den „primitiven“ Kulturen, sowohl noch lebender Völker als auch steinzeitlicher Menschengruppen, sah Verworn als überzeugter Darwinist einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis des menschlichen Geistes und seines Werdens. Die ältesten Dokumente menschlichen Schaffens waren für ihn deshalb von größter Bedeutung. Sie zu erforschen war mehr als eine wissenschaftliche Liebhaberei. Aus diesem Grund unternahm Verworn viele Exkursionen zu Lokalitäten, die von Menschenhand bearbeitete Feuersteine geliefert hatten. Die primitiven Feuersteinwerkzeuge waren für Verworn in gewisser Hinsicht Gedankenpetrefakte, die ältesten Knochenschnitzereien und Höhlenzeichnungen fossile Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle des Urmenschen. Den menschlichen Geist und sein Werden zu verstehen, galten auch Verworns Untersuchungen zum Aberglauben – er war ein eifriger Sammler von Amuletten – und zur Numismatik.

Zu den Verdiensten Verworns gehört die Gründung der anthropologischen Gesellschaften in Göttingen und Bonn. Als Vorsitzender des anthropologischen Vereins zu Göttingen war er hochgeschätzt; später wurde er dessen Ehrenvorsitzender. In einer Vielzahl von Vorträgen und Veröffentlichungen berichtete er dort über die Resultate seiner Untersuchungen.

Ein weiteres Zeichen seiner internationalen Anerkennung sind seine Wahl zum Mitglied mehrerer akademischer Gesellschaften Europas sowie die Ehrendoktorwürde der Universitäten Cambridge und St. Andrews (Schottland). Doch wird berichtet, dass ihm solche äußeren Auszeichnungen und Ehrungen eher unangenehm waren (Wüllenweber 1968, S. 11ff). 1921 verstarb Max Verworn im Alter von 58 Jahren in Bonn.

16.4.2.2 Reisen nach Aurillac: Vom Skeptiker zum Befürworter

Max Verworn unternahm zwei Exkursionen nach Aurillac, im April und im September 1905 (Verworn 1906a, S. 611-612). Im selben Jahr veröffentlichte er (Verworn 1905) die Forschungsergebnisse seiner ersten Reise, eine umfangreiche, überaus gründliche und gut illustrierte Arbeit mit zahlreichen hervorragenden Fotos unter dem Titel Die archaeolithische Cultur in den Hipparionschichten von Aurillac (Cantal).

Verworn war anfangs sehr skeptisch gegenüber den Eolithen: „Ich muss gestehen, dass ich noch vor weniger als einem Jahre der Annahme von der Werkzeugnatur der ,Eolithen’ mehr als skeptisch gegenüberstand und meinen Bedenken auch in der Sitzung der Göttinger Anthropologischen Gesellschaft vom 22. Juli 1904 gelegentlich Ausdruck gegeben habe“ (Verworn 1905, S. 4). Inzwischen war Herr Rutot im vorigen Jahre so liebenswürdig, mir eine grössere Serie typischer Eolithen aus den verschiedenen Stufen des belgischen Diluviums [Pleistozäns] zum Geschenk zu machen, nach deren genauer Analyse ich keinen Zweifel an ihrer Werkzeugnatur mehr hegen konnte. Es war eine starke Erregung, die sich damals meiner bemächtigte. Werden doch durch diese Funde die Spuren primitiver Cultur weit über die bisher nachgewiesenen Grenzen“ zurückverlegt. Zugleich entstand für mich die Frage, ob solche Spuren auch bereits im Tertiär unzweideutig nachweisbar sein möchten. ... Wenn auch Klaatsch und Rutot sich von der Existenz tertiärer ,Eolithen’ überzeugt zu haben glaubten ..., so konnte ich mich doch nicht ...

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